Das micelab:bodensee ging im 6. Forschungsmodul der Frage nach, wie eine gute Balance zwischen sinnstiftendem Arbeiten und wirtschaftlicher Notwendigkeit aussieht. Mithilfe der Theory-U-Methode erarbeiteten dazu 16 Mitglieder des Netzwerks Prototypen für neue Geschäfts- bzw. Arbeitsmodelle für die Veranstaltungsbranche. Darin flossen Erkenntnisse und Kompetenzen aus der bisherigen Forschung und Praxis ein.
micelab:bodensee erarbeitet Modelle für eine robuste MICE-Branche
Ziel ist die Balance zwischen sinnstiftender Arbeit und wirtschaftlicher Notwendigkeit
„Die MICE-Branche hat sich von der Krise zwar erholt. Dennoch wissen wir und wussten schon davor, dass klassische Geschäftsmodelle erodieren und wir den Menschen neue Angebote machen müssen, um langfristig erfolgreich zu sein. Dazu braucht es eine echte Veränderung, eine Transformation“, betont Urs Treuthardt, Präsident des BodenseeMeeting e. V. Der Verein ist Träger des Forschungsnetzwerks micelab:bodensee, das sich seit gut 15 Jahren mit lebendiger sinnstiftender Veranstaltungskultur beschäftigt, sowohl im Forschungsmodul, dem micelab:explorer, als auch in der Praxis und Vermittlung.
Während bisherige Labore auf den Menschen, die innere Haltung und das Lernen fokussierten, widmete sich das 6. Forschungsmodul der konkreten Frage: „Wie sieht eine gute Balance zwischen sinnstiftend arbeiten und wirtschaftlicher Notwendigkeit aus?“ Diana Oser von collaboratio helvetica unterstützte den Prozess mithilfe der Theory U – eine Kreativ-Methode, die ganzheitliche Veränderungen in Menschen, Teams und Organisationen bewirkt sowie neue Lösungen freilegt.
Nachhaltigkeit als gemeinsamer Nenner
16 Mitglieder aus dem micelab-Netzwerk erarbeiten im 2,5‑tägigen Labor in Gaienhofen (Landkreis Konstanz) drei Arbeits- und Geschäftsmodelle, die eines gemeinsam haben: Sie sind sinnstiftend. Im Laufe des Prozesses verständigten sich die Forscher:innen darauf, „Sinnstiftung“ mit der Erreichung der SDGs (Sustainable Development Goals) gleichzusetzen, den 17 Nachhaltigkeitskriterien der Vereinten Nationen. „Diese Ziele sind global gesehen am dringlichsten. Wenn wir draußen etwas verändern wollen, müssen wir bei uns selbst anfangen“, ist Urs Treuthardt überzeugt.
Die Forscher:innen entwickelten im Prozess drei Prototypen: Im ersten dienen die SDGs als messbare Kriterien für sinnstiftende Arbeit, im zweiten sind sie die Grundlage im Umgang mit der Ressource Mitarbeiter:innen. Im dritten Modell geht es um die nachhaltige Weiterentwicklung der Bodenseeregion, die mithilfe einer eigenen Veranstaltungsreihe forciert werden soll.
Sinnstiftung und Wirtschaftlichkeit
Zunächst erarbeiteten die Teilnehmer:innen in World Cafés, wie das Spannungsfeld zwischen Sinnstiftung und Wirtschaftlichkeit in ihren Unternehmen erlebt wird. Sie deckten Muster, Potenziale, Herausforderungen und Gemeinsamkeiten auf. Daraus ergaben sich drei Themenfelder, aus denen die Gruppen die neuen Modelle erarbeiteten, die auf den drei Ebenen ansetzen: im Unternehmen, bei den Mitarbeiter:innen und der Region.
Um die SDGs in einem einzelnen Unternehmen umzusetzen, ist das Engagement aller Mitarbeiter:innen nötig. Sie überprüfen regelmäßig den Stand anhand von Checklisten, von Müllvermeidung bis zu Mitarbeiterzufriedenheit. In einem Folgetermin wollen die Mitglieder des micelab:bodensee SDGs definieren, an denen sie konkret arbeiten. „Wir wollen kein Green Washing, sondern uns ernsthaft – und vor allem auch messbar – weiterentwickeln“, erklärt Ruth Bader, Geschäftsführerin vom Bodenseeforum Konstanz. „Damit können wir unseren Kunden und unseren Geldgebern gute Argumente für Veranstaltungen liefern, die weit über die Raumvermietung hinausgehen und wirklich Sinn stiften. So schaffen wir auch ein neues Verständnis von Wirtschaftlichkeit, die wir an den erzielten SDG-Effekten festmachen können.“
Gelebte micelab-Kultur
Mitarbeiter:innen sind die wichtigste Ressource eines Kongresshauses, so die These der zweiten Arbeitsgruppe. „Deshalb müssen wir ihnen sinnstiftendes Arbeiten ermöglichen, indem wir das passende Umfeld bieten: gute interne Begegnungskultur, Geduld, Wertschätzung – also die micelab-Werte wirklich leben“, schildert Matthias Klingler, Leiter des Graf Zeppelin Hauses in Friedrichshafen. Botschafter:innen im Unternehmen könnten die Rolle übernehmen, Onboarding-Prozesse im micelab-Gedanken zu gestalten, Azubis zu micelab-Veranstaltungen zu bringen oder die sinnstiftende Unternehmenskultur bereits in Stellenanzeigen zu kommunizieren. Die Dringlichkeit des Themas liege auf der Hand. „Der Tourismus kämpft aufgrund der Tarife und Arbeitszeiten mit einem schlechten Image. Gerade die Generation Z sucht nach sinnvollen Tätigkeiten.“ Eine positive Arbeitshaltung strahle nach innen und nach außen aus, was sich letztlich betriebswirtschaftlich niederschlagen würde, ist Klingler überzeugt.
Weiterentwicklung der Bodenseeregion
Die dritte Arbeitsgruppe beschäftigte sich mit der Entwicklung einer Veranstaltung bzw. Veranstaltungsreihe, die die nachhaltige Entwicklung der Bodenseeregion vorantreibt. „Dabei geht es nicht darum, anderen zu sagen, wie sie die SDGs umsetzen sollen. Das muss jeder für sich definieren. Was wir aber vermitteln können, ist die gute Begegnungskultur und Kooperation, die wir im micelab:bodensee seit vielen Jahren praktizieren“, erklärt Chiara Rossi, Leiterin von St.Gallen-Bodensee Convention. Das micelab:bodensee besteht aus Kongresshäusern und Convention Bureaus, die im Wettbewerb stehen. Dennoch arbeiten diese effektiv auf Augenhöhe zusammen und tauschen sich aus, um die MICE-Branche weiterzuentwickeln und letztlich gemeinsam eine größere Strahlkraft zu erreichen. „Diese Kompetenz können wir nutzen, um Firmen und Institutionen zusammenzubringen, die die gleichen Ziele verfolgen. Sie sollen den Wettbewerbsgedanken ablegen und die Kräfte bündeln“, stellt sich Rossi vor.
Nächste Schritte
Als nächstes will das micelab:bodensee Prototypen auswählen, diese weiterentwickeln und schließlich testen. Ob es alle sind, ist noch offen: „Die Umsetzung solcher Projekte ist immer eine Frage der Ressourcen. Diese freizumachen und das laufende Geschäft aufrechtzuerhalten, stellen wir uns nun als Aufgabe für die kommenden Wochen“, sagt Urs Treuthardt. Fixstarter ist das Projekt zur Umsetzung der SDGs in den Unternehmen: Dazu gibt es bereits einen gemeinsamen Termin im Oktober im Würth Haus Rorschach. Es sollen die SDGs für die MICE-Branche übersetzt und neue Messgrößen für erfolgreiche Veranstaltungen definiert werden, die ökologische, ökonomische und soziokulturelle Kriterien berücksichtigen.
Über micelab:bodensee
micelab:bodensee ist die erste interaktive Forschungs- und Weiterbildungsplattform für Veranstalter:innen im deutschsprachigen Raum. Sie wurde vom Verein BodenseeMeeting e. V. und dem Netzwerk der kongress tanzt entwickelt und startete im Oktober 2013. Mitglieder sind: Kongresskultur Bregenz, Convention Partner Vorarlberg, SAL – Saal am Lindaplatz (FL/Schaan), St.Gallen-Bodensee Convention, Würth Haus Rorschach, Bodenseeforum Konstanz, Milchwerk Radolfzell, Stadthalle Singen, Insel Mainau, Kultur- und Kongress-Zentrum Graf Zeppelin Haus Friedrichshafen und Inselhalle Lindau. Kurator ist Michael Gleich vom Netzwerk der kongress tanzt.
micelab:bodensee umfasst drei Module mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Alle haben den erkundenden Charakter eines Labors. Beim Modul micelab:explorer liegt der Fokus auf der Forschung mit Impulsgebern aus unterschiedlichen Disziplinen. micelab:experts richtet sich an die Praktiker der MICE-Branche: Mitarbeiter:innen verschiedener Gewerke, Eventagenturen, Kulturinstitutionen, Marketing- und Personalverantwortliche von Wirtschaftsbetrieben. In die Publikation micelab:extract fließen Forschungsergebnisse ein. Bisher sind drei Bände erschienen.